3.Etappe: Vom Lago di Cadore durch das Tal der Piave zum Lago di Santa Croce

Ich habe wieder gut geschlafen, die Nacht war wesentlich wärmer als gestern oben in den Bergen. Die netten Fern-Reiseradler von nebenan bieten mir von ihrem Brot etwas zum Frühstück an, ich nehme mir dankbar ein kleines Stück vom Tiroler Schüttelbrot, aber zu viel mag ich angesichts des steilen Aufstiegs vom See hinauf in den Ort und zum Radweg sowieso nicht essen. Was ich aber noch dankbarer annehme ist der Kaffee, den sie in einer entzückenden kleinen blauen Emailkanne kochen und der herrlich schmeckt! Ohne Kaffee zum Frühstück ist es nur halb so schön! Ich bewundere das umfangreiche Equipment das sie mit sich führen, sie sind für alles gerüstet und können sich komplett selbst versorgen. Allerdings muß das auch transportiert werden, ich tu mir schon mit meinem gewichtsmässig sehr stark reduzierten Gepäck bergauf schwer!

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Noch schnell ein Bild mit den netten Fernradlern Iris und Holger

Nachdem wir uns noch ausgiebig beim Kaffe unterhalten und auch gegenseitig fotografiert haben, fahren sie bald ab. Mein Zelt ist inzwischen getrocknet, ich packe auch alles zusammen und mache mich wieder auf den Weg.

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Noch ein letzter Blick zurück auf die Berge

Es wird schon wieder sehr heiss und der steile Weg hinauf auf den Berg macht mir zu schaffen. Heute habe ich das Gefühl, mein Rad wird immer schwerer. Teilweise steig ich ab, flüchte in den Schatten der Häuser und schiebe das Rad streckenweise rauf.

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Fotografierpausen sind bergauf zum verschnaufen sehr willkommen 😊
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Schon fast oben in Calalzo di Cadore

Da ich absolut nichts mehr zu essen habe,  versorge ich mich in Calalzo in einem großen Supermarkt mit Proviant. Von den meisten Dingen, die ich gerne hätte, gibt es aber keine kleinen Packungen, alles nur in größeren Mengen, das ist nicht sehr brauchbar für meine Zwecke. Bis ich endlich alles gefunden und zusammen habe (nicht alles, denn Taschentücher oder Klopapier gibt es nur in Großpackungen und die italienischen Campingplätze haben leider kein Papier in den Toiletten), ist fast eine Stunde rum. Draussen beim Rad komme ich drauf, dass ich ja kaum Platz habe um die Sachen zu verstauen. Die Radtaschen sind komplett voll und der kleine Rucksack oben total der prallen Sonne ausgesetzt (für verderbliche Lebensmittel nicht gerade das Beste) und auch für weichere Dinge (wie etwa die Tomaten, Zwetschken oder Bananen) durch den straffen Gummigurt, mit dem der Rucksack festgezurrt ist, auch nicht sehr geeignet. Also esse ich die Banane gleich noch vor der Abfahrt im Stehen auf  (schon wieder gleich weniger Gewicht 😋) und versuche den Rest in meine kleine Proviantdose zu schlichten.

Dann geht es weiter, am Bahnhof vorbei (wieder runter!) und dann weiter (wieder bergauf!) zum Einstieg in den Radweg. Vorerst geht es dann auf diesem wie gestern bis Pieve di Cadore weiter.

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Endlich wieder oben am Radweg!

Es ist mittlerweile schon zwei Uhr und wieder sehr heiss geworden. Ich mache bei einem schönen Platz auf einer Wiese mit Bänken und einem Brunnen, an dem ich mein Obst waschen und meine Trinkflaschen auffüllen kann, kurze Rast, esse und trinke was und schaue mir auf der Karte den Weiterweg an.

Da in Calalzo di Cadore die alte Bahntrasse der Dolomitenbahn zu Ende ist und damit auch der „Lange Weg der Dolomiten“ endet,  geht es anschließend am Fernradweg „München-Venezia“ weiter. Noch vor der Abzweigung nach  Peralolo hinunter (bei Sottocastello) treffe ich auf zwei Radler, die aus der Gegenrichtung kommen und  verzweifelt auf ihr Smartphone starren. Sie fragen mich, ob ich weiss wo es nach Venedig weitergeht und ich erkläre ihnen, dass sie wieder ein Stückchen zurückfahren müssen, weil sie die Abzweigung verpasst haben. Klarer Sieg meiner Papierkarte gegen das GPS der Smartphones 😀! Bald bin ich dann bei der Abzweigung, rechts geht es hinauf nach Pieve, links hinterm Friedhof vorbei geht es nun auf kleinen, engen Strässchen steil hinunter Richtung Peralolo. Ich bin dankbar für meine hydraulischen Felgenbremsen, mit dem Gepäck hinten dran wird das Rad doch ziemlich schnell wenns so steil runter geht. Dann folgt der Weg der alten Staatsstraße, die jetzt für Kraftfahrzeuge gesperrt ist, da eine neue Schnellstraße errichtet wurde. Am Beginn der Straße stehen am Strassenrand zwei große, fast palastartige, aber stark verfallene alte Villen mit gewissem Charme zum Verkauf, sie sind idyllisch gelegen,  werden aber in dieser nunmehrigen Abgeschiedenheit wohl schwer einen Käufer finden. Eigentlich würde ich gerne ein Foto machen, aber ich merke, wenn es so schön bergab geht und ich in Fahrt bin, mag ich nicht stehenbleiben. Deshalb gibt es auch bei dieser Radreise von den Bergaufstrecken wesentlich mehr Fotos als beim runterfahren (weil mir beim rauffahren jede Pause willkommen ist).  Die alte Straße scheint ganz neu asphaltiert zu sein, da sie ja auch normale Strraßenbreite hat, ist das Hinunterfahren ein Genuss!

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Auf der alten SS 51 entlang der Felswände hinunter nach Peralolo
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Eine traumhaft schöne Strasse ganz für mich allein und mein Rad  😄👍

Runter gehts natürlich immer schnell, bald erreiche ich Peralolo, über eine Brücke geht es über den Piave-Fluss und dann wieder auf der alten Staatsstraße weiter. Es gibt hier nur spärlichen regionalen Autoverkehr zwischen den wenigen, meist ziemlich verlassenen Orten, also ist es nach wie vor sehr angenehm zu fahren. Linker Hand fliesst die Piave, rechts der Straße türmen sich steile Felswände.

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Oberhalb der Straße  führt die Eisenbahn, die von Calalzo nach Belluno führt (derzeit aber nicht in Betrieb ist) durch die Felswände

Die wenigen Orte am Weg wirken sehr unbewohnt, fast wie ausgestorben, was wohl auch der Realität entspricht. Ich sehe nur hie und da ein paar alte Leute. Trotzdem hat dieser obere, enge und etwas morbide scheinende Teil des Piavetals einen gewissen Reiz.   Es scheint ein wenig so, als wäre die Zeit hier stehengeblieben.

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Im Tal der Piave zwischen Peralolo und Ospitale

Später gibt es dann einige Kilometer vor Castellavazzo eine sehr schönen, offenbar neu angelegten Radweg mit einigen auf und abs, dann wechselt der Weg auf die andere Seite des Flusses.

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Am Weg nach Longarone

Gegenüber von Longarone überquert der Weg dann den Fluß Vajont mit seiner traurigen Geschichte: In den 60er-Jahren wurden immer mehr größere und wagemutigere Kraftwerke gebaut, im Vajont-Tal errichtete der italienische Stromerzeuger SADE die größte Bogenstaumauer der Welt, obwohl Geologen mehrfach vor den Folgen warnten. Ein Bergrutsch am Monte Toc liess in der Nacht vom 9. Oktober 1963 gigantische Mengen an Gestein in den Stausee stürzen, der eine 140 m hohe Flutwelle verursachte, die sich in das darunterlegende Tal ergoss. Longarone wurde komplett zerstört, von den 1400 Einwohnern überlebten nur 40. Die „Katastrophe von Longarone“ wurde lange von Energiebetreiber und Staat als Naturunglück dargestellt, Entschädigungen zurückgehalten. 1969 kam es zu gerichtlichen Verurteilungen. In den 70er-Jahren wurde ein neues Longarone errichtet. Der gewaltige Bergrutsch ist heute noch am Monte Toc sichtbar, der Stausee wurde nie wieder gefüllt.

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Die enge Schlucht des Vajont – ganz oben am Horizont ist die Staumauer zu sehen
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Die Schönheit der Vajontschlucht trotz ihrer schrecklichen Geschichte

Hinter Vajont führt der Weg über kleinere Dörfer auf Nebenstraßen bergauf und bergab, mal am Berghang, mal durch schöne Flussauen bis nach Soverzene. Ich bin jetzt schon langsam müde und die vielen Bergaufstrecken mit meiner Siebengang-Schaltung und dem Gepäck kosten mich einiges an Kraft. Eigentlich sollte ich eine Pause machen, aber es ist schon spät und bis zum Lago di Santa Croce ist es noch eine Weile hin. Zuletzt schiebe ich streckenweise das Rad auf der Straße immer wieder mal bergauf, was natürlich viel Zeit kostet.

In Soverzene überlege ich bei der Abzweigung nach Ponte nelle Alpi ob ich über den Fluss auf die (flache) Staatsstraße wechseln soll und lieber den Autoverkehr als die Berge in Kauf nehme. Während ich noch sinnend mit meinem Rad dastehe, kommt aus der Gegenrichtung ein Radfahrer auf mich zu und fragt auf Englisch, ob er mir helfen kann. Als er hört, dass ich auf die Straße wechseln will, schüttelt er den Kopf und meint der Radweg wäre viel schöner zu fahren! Auf meine Bedenken, dass ich heute nicht mehr bergauf fahren will und schon recht müde bin, antwortet er  „It is very, very flat! You will like it!“ Also folge ich seiner Empfehlung.

Der Radweg scheint ganz neu gebaut zu sein, mit vielen Brücken, Übergängen und sogar einem Tunnel.

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Am neuen Radweg hinter Soverzene

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Schließlich folgt der Weg einem breiten Flusskanal, führt auch einmal durch einen kleinen Wald, hier merke ich, dass es langsam dämmrig wird und die Fahrt zieht sich ganz schön dahin (oder bin ich schon so ungeduldig?). Dann ist der Weg plötzlich gesperrt, offensichtlich noch nicht ganz fertig, ich muss über den Kanal auf eine Nebenstraße ausweichen und komme schließlich bereits im Dunkel bei Bastia auf die Straße oberhalb des Lago di Santa Croce. Sie ist relativ stark befahren und ich fühle mich trotz der Radbeleuchtung im Dunkel auf der Straße nicht sehr sicher. Als es eine markierte Radweg-Abzweigung zu einem kleinen Sandsträßchen durch dichtbewachsenes Gelände gibt, biege ich lieber dorthin ab. Das muss der Sentiero Natura sein, der auf meiner Karte entlang des Sees eingezeichnet ist und wo ich nicht sicher war, ob er mit dem Rad befahren werden kann. Es ist zwar etwas unheimlich im Finstern, aber jetzt kann es nicht mehr weit sein, ich müsste laut meiner Karte direkt am Campingplatz rauskommen. Das Licht am neuen Rad leuchtet zwar den Waldweg ganz gut aus, aber zieht auch die Mücken an, die mir dauernd in die Augen fliegen. Bei einer Abzweigung vor einer großen Brücke für Fußgänger und Radler mache ich halt, krame im Finstern meine Stirnlampe aus der Radtasche und versuche die Wegweiser zu entziffern. Es geht über die hohe bogenförmige Holzbrücke weiter, an deren Beginn in verschiedenen Sprachen zu lesen ist, dass man das Rad hier zu schieben hat. Na gut, auf das kommts jetzt auch nicht mehr an. Drüben angekommen vermute ich etwas weiter weg endlich vage das Seeufer, fahre an Bäumen und einer hohen und dichten Hecke entlang bis zu einer Straße, wo  es wieder eine Abzweigung zum München-Venedig-Radweg gibt, die aber definitiv nicht zu der Richtung passt, wo sich der Campingplatz befinden soll.

Ich drehe um und fahre zu einer Gruppe von Jugendlichen zurück, die bei einem kleinen  Kiosk etwas trinken und frage nach dem Campingplatz. Ich weiss nicht, ob wir uns mißverstehen oder ob sie sich einen Spaß machen wollen, aber sie behaupten, der Campingplatz wäre auf der anderen Seite des Sees. Ich bin total verwirrt, verflixt, das kann doch nicht möglich sein, sollte ich mich derart geirrt haben? Aber sicherheitshalber fahre ich wieder zurück bis ich zu der Abzweigung mit den Wegweisern komme. Aber die helfen mir auch  nicht weiter, es gibt keinen Hinweis auf einen Campingplatz. In der Ferne sehe ich die Lichter der Autos auf der Straße, eine kleiner Sandweg führt dorthin, also beschließe ich zur Autostraße zu fahren, dort finde ich mich vielleicht eher zurecht. Bei einer Tankstelle frage ich dann einen jungen Mann, nach dem Campingplatz, ich müßte wieder in die Richtung aus der ich gekommen bin zurück. Bis zum Kreisverkehr und dann rechts und dann…aber dort war doch kein Campingplatz? Als er merkt, wie verwirrt ich bin, bietet er mir an, er würde langsam vor mir herfahren und ich sollte ihm einfach nachfahren. Ich strample unter Aufbietung meiner letzten Kräfte (es geht schon wieder leicht bergauf!) hinter seinem Auto nach (uff, schnauf, ächz 🚴🏿), nach dem Kreisverkehr geht es auf einer kleinen Straße weiter, auf einem großen Parkplatz hält er schließlich an. Erst kenne ich mich nicht so ganz aus, es gibt keinen Hinweis zum Campingplatz, will er hier parken? Doch dann erkenne ich vage etwas weiter vorne den Schranken zum Eingang des Campingplatzes – jetzt ist alles klar! – und bedanke mich herzlichst bei ihm! Er meint, der Platz wäre auch schwer zu finden! Und bin ich bin schon vor einer Stunde praktisch genau davor gestanden, – nur auf der falschen Seite!!

Es ist mittlerweile neun Uhr abends, zum Glück ist die Rezeption noch besetzt, normalerweise wird sie um acht geschlossen. Die Campingplatzbesitzerin empfängt mich freundlich, zeigt mir auf einem Plan, wo ich mein Zelt aufstellen kann und erklärt mir auch ausführlich, wie ich morgen zur nächstgelegenen Bahnstation komme. Sogar eine Skizze fertigt sie extra für mich an. Und ja, es gibt eine Pizzeria am Platz, die von ihrem Schwiegersohn betrieben wird und die noch geöffnet hat.

Als ich im Licht meiner Stirnlampe das Zelt aufbaue, höre ich plötzlich Stimmen „Hallo, Christa!“ Iris und Holger, die München-Venedig-Radler haben mich entdeckt, sie erzählen, dass sie sogar bei Tageslicht den Campingplatz nur schwer gefunden haben, aber da tagsüber Zugänge vom Platz zum See geöffnet waren, wären sie einfach von hinten auf den Platz gefahren. Sie verabschieden sich dann wieder, weil sie zum duschen gehen wollen, ich richte weiter mein Zelt zum schlafen her. Als ich fertig bin, sehe ich, dass es schon 22h ist, jetzt gibts in der Pizzeria wahrscheinlich nichts mehr zu essen. Aber ich habe Glück und bekomme noch eine herrliche große Pizza und trink dazu ein Bier, das ist ein guter Abschluss des heutigen Tages! Ist ja doch alles gut gegangen!

Der letzte Tag: Vom Lago die Santa Croce mit dem Zug zurück nach Villach

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Mein Zeltplatz am Morgen

Ich habe wieder gut geschlafen, es ist allerdings hier am See schon sehr feucht und man merkt auch schon deutlich den Herbst. Die Wiese ist pitschnass und ich entferne ein paar Nacktschnecken vom Zelt.  Dann mache ich einen Spaziergang zum See. Jetzt erst sehe ich bei Tageslicht am Weg dorthin wieso ich gestern im Stockfinstern so wenig erkennen konnte.

Der See hat wenig Wasser, das Ufer hat sich weit zurückgezogen und war daher gestern im Dunkel vom Radweg aus auch nur schwer erkennbar.

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Der Lago di Santa Croce
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Blick vom Seeufer zum Campingplatz – er ist auch im Tageslicht kaum zu erkennen!

Eigentlich hatte ich geplant, den Vormittag mit schwimmen und am Strand sonnen zu verbringen, aber das Wasser ist im (erlaubten) Badebereich voll grüner Algen und dort wo das Wasser klar ist, ist der See für die Surfer reserviert und das baden verboten ☹️. Schade, denn das Wasser fühlt sich noch recht warm an. Ich schau mich noch ein wenig um und fotografiere, dann gehe ich wieder zum Zelt zurück und packe alles zusammen.

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Suchbild mit Zelt 😊

Nachdem ich alles wieder verpackt habe, verabschiede ich mich von Iris und Holger, die noch länger auf diesem Platz bleiben wollen, bevor sie weiter nach Venedig fahren und mach mich auf den Weg zum Bahnhof, der etwa elf Kilometer entfernt ist. Dank der guten Beschreibung der Campingplatzbetreiberin finde ich schnell und problemlos hin.

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Am Weg hinauf zur Bahnstation mit einem letzten Blick auf die Berge
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Die gewohnte Tristesse der unbesetzten Bahnhöfe

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Zur Freude der Radlerin hat der Regionalzug Tiefeinstiege 😀!

In Conegliano habe ich gleich einen Anschlusszug nach Udine, von dort geht es dann mit dem Micotra (dem einzigen Regionalzug zwischen Udine und Villach) am frühen Abend zurück nach Hause. In den Bergen zwischen Gemona und Villach regnet es schon (der Wetterumschwung war für heute vorausgesagt), aber als ich in Villach ankomme ist das Gewitter vorbei und ich komme trockenen Fußes und Rades nach Hause, besser kann man es sich nicht wünschen 😀! Schön war’s wieder!

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Gewitterwolken bei Carnia